Theresa, 28 Jahre, Ärztin in Weiterbildung,
Pädiatrie, sächsisches Krankenhaus der Schwerpunktversorgung


Wie sieht Dein (Arbeits-)Alltag momentan aus und was hat sich verändert?

Wir haben seit Beginn der Corona-Krise deutlich weniger Patient*innen als zuvor, viele leere Betten und kaum bis gar keine Patient*innen, die sich in der Notaufnahme vorstellen. Folglich bleibt ausreichend Zeit, um sich um die stationären Fälle zu kümmern und ich selbst erlebe in diesen Wochen die positive Erfahrung, wie wertvoll es für die Patient*innen aber auch mich selbst ist, wenn man sich genug Zeit für die Behandlung und vor allem Gespräche nehmen kann. Interessanterweise habe ich erlebt, dass sich nun fast ausschließlich nur noch Patient*innen mit “Notfällen” in der Notaufnahme vorstellen, also deren Konsultationsgrund wirklich eine dringliche Abklärung benötigt oder eine stationäre Aufnahme notwendig macht.


Wie erlebst Du den Umgang  mit Patient*innen in der momentanen Lage?

Es wird einem sehr viel Verständnis für alle Schutzmaßnahmen entgegengebracht und dass, obwohl speziell z.B. durch die Besuchseinschränkungen die Eltern aber auch die Patient*innen selbst einer deutlich höheren psychischen Belastung als sonst ausgesetzt sind. 


Was wünscht Du Dir aktuell? Könnte etwas besser laufen?

Mir erklärt sich nicht, dass das Personal im Gesundheitswesen so wenig auf Corona gescreent wird. Ich habe den Eindruck, dass relativ offen kommuniziert wird: wenn alle gescreent werden, dann müsste zu viel Personal in Quarantäne und unser Gesundheitssystem würde zusammenbrechen. Letztens kam ein Schreiben, dass Praxispersonal mit Kontakt zu Coronafällen weiterarbeiten soll. Es könnte dann aber durch das Gesundheitsamt eine häusliche Quarantäne angeordnet werden, sobald man nach der Arbeit nach Hause gehe. Dass durch möglicherweise infiziertes Personal die besonderes vulnerablen Gruppen angesteckt werden könnten, scheint hierbei keinen Vorrang zu haben.


Fehlt es an etwas? Was sind gerade die größten Probleme?

In meinem Alltag fehlt es jetzt ständig an Schutzkleidung, insbesondere an Mund-Nasen-Schutz (MNS). Diese sind zwar theoretisch in ausreichender Anzahl im Haus vorhanden, allerdings werden sie inzwischen so gut auf den Stationen versteckt, dass das Pflegepersonal und ich sie teilweise selbst nicht mehr finden. Man solle vor jedem Anlegen eines MNS genau prüfen, ob dieser Arbeitsschritt das Anlegen eines MNS erfordere. Ich bin in mich gegangen und dabei sind nur wenige Situationen eingefallen, in denen ich selbst oder anderes Krankenhauspersonal die Schutzkleidung ohne die entsprechende Indikation angelegt haben. Trotzdem gibt es jetzt nur eine kleine Ecke auf Station, wo der MNS liegt (max. 2 Packungen erblicke ich dort in meinen Diensten) und jeden Tag wird der Bestand gezählt und nachgefragt, wofür der MNS verwendet wurde. Dabei ist die allgemeine Anzahl an infektiösen Patient*innen in der Pädiatrie ja wirklich nicht als gering einzustufen. In der OP-Schleuse gibt es keinen MNS mehr, den müsse man sich bei einer bestimmten Mitarbeiterin abholen. Ich bezweifle aber, dass diese an einem Feiertag um 17 Uhr anzutreffen ist, wenn ich zum Kaiserschnitt eile. Gut, dass die vorausschauende Krankenschwester bereits auf Station sagte: “Wir stecken mal lieber welche von der Station ein.”


Machst Du Dir Sorgen im Arbeitsalltag oder bezogen auf die Zukunft?

Natürlich bin ich besorgt, dass vielleicht irgendwann der Zeitpunkt kommt, dass die Infektionszahlen mit Corona soweit steigen, dass das Gesundheitssystem an das Ende seiner Kapazitäten kommen könnte.


Hast Du Forderungen oder Ideen für ein Gesundheitssystem nach Corona? Was sollte sich langfristig ändern?

Die Anzahl und Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte müssen dringend verbessert werden. Wir arbeiten bereits im Normalbetrieb mit einem viel zu kleinen Personalschlüssel, was uns schon so vor enorme Probleme stellt und stets ein hohes Risiko für das Wohl unserer kleinen Patient*innen darstellt. Außerdem wünsche ich mir, dass nach Corona auch ausführlich über den Arbeitsschutz des Gesundheitspersonals debattiert wird. Unabhängig von Corona wünsche ich mir für die Zukunft ein patient*innenorientiertes Gesundheitssystem, das Menschen nicht über die DRG-Codierungen definiert.  Ich wünsche mir, dass es bei der Diagnostik und Therapie nicht immer nur um das Geld, sondern um das langfristige Wohlergehen meiner Patient*innen geht. Gerade bei Kindern und Jugendlichen wird teilweise gespart, obwohl frühzeitiges (Be-)Handeln langfristig viele Folgeerkrankungen oder schwerere Verläufe verhindern könnte.

DRG-System (Diagnosis Related Group)
Abrechnungssystem für die stationäre Krankenhausbehandlung. Hierbei werden Patient*innen unabhängig von, z.B. deren Verweildauer, pauschalisiert. Das bedeutet, dass anhand der Diagnose die Zuordnung einer „Fallpauschale“ erfolgt. Diese „Fallpauschale“ entscheidet über den Abrechnungsbetrag und ist für jede Person mit derselben Diagnose gleich. Aufgrund dieser Gruppenzuordnung können individuelle Ansprüche in der Behandlung nicht berücksichtigt werden.